Nach einem etwas ungelungenen Start in die Ferien geht nun mein langersehntes Abendteuer endlich los. Es ist mein erstes Unterfangen in dieser Art. Auf dem Dolomitenhöhenweg Nr. 8 will ich auf eigene Faust die Dolomiten während 9 Tagen zu Fuss durqueren.
Tag 1
Heute startet endlich das grosse Abendteuer. Bei Sonnenschein warte ich am Bahnhof von Brixen auf meinen Bus. Dieser erscheint aber schon mal nicht und ich warte auf den nächsten. Er bringt mich zur Plose Gondelbahn, welche mir die ersten Höhenmeter abnehmen soll. An der Bergstation Kreuztal (2023m) steigt der Weg direkt an und in der prallen Sonne geht es hoch. Noch bin ich offiziell zwar noch nicht in den Dolomiten, aber der Blick auf diese Region ist fantastisch. Nach einer guten Stunde erreiche ich die Plosehütte (2446m). Über Weiden und durch Wälder verliere ich wieder viel Höhe und überschreite die Grenze zu den Dolomiten. Zwischendurch bin ich sogar ganz allein. Dann setzt der Regen ein, zwar nicht stark aber dennoch mühsam. Dies kurz vor dem Aufstieg zur Pleiterscharte (2357m). Hier ist auch die Idylle wieder zerstört und ein Touristenstrom steigt hier hoch. Immerhin hört der Regen auf als ich oben angekommen bin. Fast ebenwegs geht es nun an die letzten Meter bis zum Tagesziel. Den Weg muss ich mir mit ein paar nicht scheuen Rindern teilen. Dann nach etwa 5h erreiche ich die Schlüterhütte (2301m) und beziehe mein Nachtquartier.
Tag 2
Nach einer regnerischen und gewittrigen Nacht startet der kommende Tag bereits früh. Mit Ausschlafen ist in solchen Hütten leider nichts. Noch etwas müde und mit wolkenverhangenem Himmel geht’s los. Es wartet gleich ein steiler Abstieg mit vielen engen Serpentinen auf mich. Lange Zeit folge ich dann einer Forststrasse durch den Wald. Dann endlich gelange ich wieder auf einen Wanderweg mit gewaltigem Ausblick auf die Geislergruppe. Gestern noch habe ich diese aus der Ferne betrachtet und gehofft näher zu sein. Nun wandere ich direkt unterhalb dieser majestätischen Berggruppe. Gegen Ende der Geislergruppe steigt mein Weg langsam wieder an und bringt mich zur Brogleshütte (2045m). Ein perfekter Ort für eine Mittagspause mit toller Aussicht. Nichts Böses ahnend, bestelle ich mir ein Plättli und bekomme eine riesen Platte. Es wäre selbst für 2 Personen mehr als genug. Ich habe mir die Stärkung verdient und esse alles. Nicht, dass dies die optimalste Ausgangslage für die weitere Wanderung gewesen wäre. Nachdem der Morgen eher einsam war, muss ich mich der Touristenmasse stellen. In Scharen kommen sie mir entgegen, die nächste Bergbahn kann also nicht weit weg sein. Ich scheine die einzige Person zu sein, die dem Trend von Trekkingstöcken nicht folgt. Es ist fast beängstigend zu sehen, dass auch junge Leute für die einfachsten Strecken heute Stöcke brauchen. Heute muss ich zudem meinen Weg nicht nur mit Rindern und Kühen teilen, sondern auch Pferden. Nicht, dass das für mich ein Problem wäre, aber nicht alle Touristen kommen damit klar. Entlang von Wiesen und mit tollem Ausblick auf die Sellagruppe und den Langkofel führt mich mein Weg weiter. Schliesslich endet die heutige Wanderung in der Raschötzhütte (2170m). Im Vergleich zu gestern eine echte Steigerung. Die Leute sind superfreundlich und herzlich. Ich kriege ein 4er Zimmer für mich alleine, im Vergleich zu gestern mit einem vollen 14er Zimmer. Die Übernachtung ist etwas teurer, dafür gibt es eine heisse Dusche umsonst, anständige Betten und ein Handtuch.
Tag 3
Es war eine unruhige Nacht mit strömendem Regen und Gewittern. Gleich zweimal hat ein Blitz neben der Hütte eingeschlagen und mich aus dem Schlaf gerissen. Beim 2. Mal hat die Hütte sogar gebebt. Da bin ich direkt froh, dass am Morgen wieder die Sonne scheint. Mein überfürsorglicher Gastgeber Simon lässt mich fast nicht gehen, aber ich will los. Das Wetter ist sehr schwierig einzuschätzen und Gewitter sind auch tagsüber möglich. Mein Tag startet heute mit einem Marsch ins Tal in die Ortschaft St. Ulrich (1236m). Der Weg ist heimtückisch. Durch den Regen sind die vielen Steine rutschig geworden und der Weg hat sich stellenweise in einem Bach verwandelt. Unten angekommen, bin ich froh den Ort schnell wieder zu verlassen. Es ist ein richtiges Touristendorf in den Bergen. Um meine Beine etwas zu schonen, gönne ich mir eine Gondelfahrt zur Seiser Alm (2005m). Vor mir tut sich eine riesige fast Ebene Weidefläche auf. Mit Schrecken muss ich feststellen, dass sich hier sehr viele Touristen tummeln. Ich nehme diesen Umstand hin und geniesse den Ausblick auf die Langkofelgruppe und den Schlern. Noch bin ich am Rätseln wo ich die über die vor mir liegende Bergkette gehen werde. Mit einem Blick zurück sehe ich in weiter Ferne die Rachötzhütte und staune wie weit ich bereits gekommen bin. Noch geniesse ich die Sonne, aber ich sehe eine grosse, böse Wolke über einem Teil der zu überquerenden Bergkette. Ich ahne schon, dass ich genau dort durch gehen werde und ich werde Recht behalten mit meiner Annahme. Der Weg wird langsam steiler und damit beginnt der anstrengendste Teil des heutigen Tages. Die böse Wolke ist immer noch da und erste Tropfen machen sich bemerkbar. Aber es regnet nicht etwa, sondern Hagel setzt ein. Weit und breit gibt es keinen Schutz, zum Glück sind die Hagelkörner nur sehr klein und es gewittert nicht. Je höher ich komme, desto mehr wird aus dem Hagel Regen. Dann oben an der Rosszahnscharte (2499m) angekommen, zeigt sich wieder die Sonne. Der Ausblick ist gigantisch. Nach einem kurzen Abstieg erreiche ich die Tierser Alpl (2441m) und somit mein Tagesziel. Die Hütte ist riesig und eher eine Massenabfertigung. Dennoch bin ich froh hier zu sein. Das Wetter ist sehr launisch und ändert sich ständig.
Tag 4
Ein neuer Tag und damit auch die bisher grösste Herausforderung. Früh starte ich, damit ich dem Regen hoffentlich entkommen kann. Nach einer kurzen Kletterei geht’s bergauf zum ersten von 3 Pässen, die ich heute bestreiten will. Mit Nebel und keiner Sonne in Sicht erreiche ich den Molignonpass (2598m). Ein Blick nach vorn und als ich meinen kommenden Weg sehe, wird mir fast übel. Erstmal geht es steil hinunter und ich bin froh ist es trocken. In nassem Zustand wäre das Ganze sicher nicht lustig. Langsam komme ich hinab und ahne schon welches der nächste Pass sein wird. Der Aufstieg zerrt an meinen Nerven und das 1. Mal seit ich auf dieser Wanderung bin, habe ich ein unsicheres Gefühl. Es wäre mir lieber das nicht alleine machen zu müssen. Immer wieder ist der Weg vom Wasser zerstört worden und es gibt viele heikle Stellen. Dann endlich bin ich oben auf dem Grasleitenoass (2599m) angekommen. Ich bin froh heil angekommen zu sein und dass der Weg hinunter viel sicherer ist als der Weg hoch. Ich passiere die Vajolethütte und eine kurze Kletterei bringt mich auf den nächsten Weg. Dieser Weg zerrt erneut mehrfach an meinen Nerven mit vielen zerstörten Wegabschnitten. Auch der Aufstieg auf den letzten Pass hat es in der Steilheit und nervlich in sich. Oben auf dem Cigoladepass (2550m) angekommen, sehe ich auf dem Grasleitenpass eine dicke, schwarze Wolke. Ich bin froh dort vorbei zu sein und steige hinab. Und dann fängt es an zu regnen. Auch das Gewitter ist nicht fern. Im Eiltempo geht’s nun für 1.5h weiter zur Paolinahütte (2125m) wo ich mein Nachtlager aufschlage. Diese Hütte ist ein ganz anderes Erlebnis. Sie ist klein und in der Nacht sind nur die paar wenigen Gäste da. Auch sind wir zuständig fürs abschliessen. Hier lerne ich Katrin, Alex und Nikki kennen. Sie alle machen auch den Höhenweg 8 und kommen aus Deutschland. Katrin ist wie ich alleine unterwegs, während die Jungs gemeinsam wandern.
Tag 5
Die Wetteraussichten für heute sind sehr schlecht. Zu 4. gehen wir von der Hütte erstmal hinab zum Karersee. Wegen des schlechten Wetters ist dieser aber nicht sehr eindrucksvoll. Wir sind alle sehr deprimiert, wollten wir doch heute über den Latemar wandern. Nun stehen wir hier im Nebel und müssen den Berg vergessen. Da es noch nicht regnet machen wir und auf und wandern im Wald am Fusse des Bergs nach Obereggen. Der Weg ist gut und kaum anstrengend. Noch vor dem Mittag erreichen wir das Dorf. Hier trennen sich unsere Wege wieder. Die Jungs bleiben hier und morgen weiter. Katrin geht nach Bozen und ich mache mich auf den Weg nach Klausen. Die Wanderung unterbreche ich erstmal, dann in der Nacht soll es in den Bergen schneien.
Tag 6
Der nächste Morgen ist sehr kalt und die Berge sind gezuckert. Mit Gipfelstürmen wird dann schon mal nichts. Damit mein Körper im Trainingsmodus bleibt, unternehme ich dennoch eine Wanderung. Die Sonne kommt schon am Morgen raus, aber der eisige Wind lässt mich frieren. Ich starte bei meiner Unterkunft in Verdings (kaum zu glauben, aber so heisst der Ort). Über steile Wege geht’s durch Wald und über Wiesen hoch. Menschen sehe ich noch keine, mache mich aber auf Massen gefasst. Es geht hoch zum Kühberg und zur Verdingser Alm. Touristen scheint es hier nicht zu geben, aber schön ist es alle mal. Via Klausner Hütte gehe ich wieder zurück nach unten. Für eine kurze Strecke folge ich dem Touristenstrom, bevor ich einen schlecht gekennzeichneten Weg einschlage. Dieser bringt mich ohne Touristen wieder zurück nach Verdings. Damit bereite ich mich wieder vor für die Rückkehr auf meine eigentliche Wanderung.
Tag 7
Kalt startet der Tag und ich kehre zurück nach Obereggen, wo ich 2 Tage zuvor meine Wanderung unterbrochen habe. Noch bin ich abseits der Route. Über einen schlecht markierten Weg geht’s immer wieder steil hoch und dann muss ich auch noch längere Zeit der Passstrasse folgen. Aber schliesslich erreiche ich das Lavazèjoch (1807m). Nun bin ich zurück auf der Route, entscheide mich aber auch gleich für eine Alternativroute. Denn ich will der Strasse nicht noch länger folgen. So erreiche ich dann das Jochgrimm (1989m) zwischen dem Schwarz- und Weisshorn. Ein Blick zurück zeigt ein tolles Bergpanorama. Weiter geht es durch den Wald zum Kugeljoch (1923m). Wobei der Weg oft eher ein Fluss oder See ist. Über den Leitensteig gelange ich dann auf die Leiten Spitze (2027m). Dieser Ort erinnert mich stark an den Jura mit seinen Wiesen, Wäldern und dem Blick zu den fernen Bergen. Auch das Gefühl zwar oben zu sein, aber trotzdem nicht auf dem Gipfel zu sein ist gleich wie im Jura. Hier kommen offenbar nur wenige Menschen hin. Der Weg ist sehr verwachsen und ohne einen «Brennesselstich» geht’s auch nicht. Zum Glück hat es aber mehr als genug Wegmarkierungen. Steil geht’s hinab und über Unterradein und Kaltenbrunn erreiche ich nach 7.5h endlich Truden. Dort verbringe ich bereits meine 2. letzte Nacht. Meine heutige Unterkunft, ein Gasthof, ist zwar nicht sehr nobel, aber auch wenn ich der einzige Gast mit Halbpension bin, macht mir die Wirtin ein mehrgängiges Abendessen.
Tag 8
Nach einem riesigen Frühstück startet meine heutige Etappe. Die Dolomitenregion habe ich gestern schon verlassen und heute bin ich Truden Horn Naturpark. Dieser ist zwar nur ein Mittelgebirge, aber sicherlich lohnenswert. Es ist für mich ein Tag abseits der touristischen Massen und damit sehr entspannend. Ich wandere durch viele Wälder und zahlreiche Wiesen bei perfektem Sommerwetter. Immer wieder eröffnen sich grandiose Blicke auf die umliegenden Alpen. Mit ausreichend Kenntnis könnte ich sogar meinen Startort dieser Wanderroute von Tag 1 ausmachen. Weiter geht’s via Schwarzsee und Weisssee (zwei Moore) nach Gfrill. Ein kleiner Ort mit fantastischer Aussicht auf die Saluner Klause und den dahinter liegenden Zinnen der Brentagruppe sowie auf das Etschtal.
Tag 9
Mein letzter Tag bricht an, ich kanns kaum fassen wie schnell die Zeit vergangen ist. Von Gfrill aus sehe ich bereits den Endpunkt meiner Wanderung, Salurn. Doch so schnell werde ich dort nicht ankommen, ich werde nicht den direkten Weg gehen. Die Sonne ich heute wieder den ganzen Tag in voller Pracht da, weshalb ich über die vielen Waldstrecken dankbar bin. Unterwegs gibt’s einen kurzen Abstecher zum Lago dal Verdes, ein Moor. Von dort zieht sich eine lange Strecke zum Lago Santo (Heiliger See). Ein kleiner Badesee auf dem Berg inmitten des Waldes. Es ist mir dann doch etwas zu kühl zum Baden. Ich mache mich auf den letzten Abstieg über einen Weg, den Albrecht Dürer 1494 bereits begangen haben soll. Der ewige Wald und die überwiegenden Forstrassen heute sind nicht unbedingt ein würdiger Abschluss, aber dennoch gehört auch diese Etappe zur Route. Die letzten Höhenmeter steige ich durch Obstplantagen (dafür ist das Etschtal bekannt) hinab. Etwas mulmig wird mir dann doch, als der Wanderweg über eine Privatstrasse führt mit dem Hinweis «kein Zutritt für Unbefugte». Dann endlich erreiche ich Salurn, ein kleines Dorf an der Sprach- und Provinzgrenze.
Damit gehen rund 50h wandern, 9 Tage und unzählige Kilometer sowie Höhenmeter zu Ende. Ein Erlebnis, dass sich in jeder Hinsicht gelohnt hat und Hunger auf neue Abendteuer geweckt hat.